Donnerstag, 22. Juni 2017

Drachen und Kaffee beim letzten Hippie

Drachenbäume sind eine Spezialität der Kanaren, denn sie wachsen nur hier. Den Ureinwohnern galt der Baum als zauberkräftig, später wurde aus dem roten Saft des Stammes Farbe gewonnen (wie auch aus der Schildlaus, die den Grundstoff für Purpur ergab und teils heute noch von den Feigenkakteen gesammelt wird, wenngleich der Wert abhanden gekommen ist). Hübsch anzusehen sind sie allemal und auf La Palma sieht man viele der teils jahrhunderte alten Bäume in die Landschaft drapiert.

Jeder sollte einen haben: der für mich zuständige Drachenbaum auf dem angrenzenden Grundstück
Unter dem alten Drachen
... hat man Ausblick auf "mein" Dorf
Eine ungewöhnlich große Ansammlung von Drachenbäumen

Nicht nur der Drachenbäume wegen bewege ich mich entlang der Nordküste, die von tiefen Schluchten durchzogen und größtenteils eher unzugänglich ist. Der Weiler Santo Domingo de Garafia, trotz des klangvollen Namens nur eine Ansammlung weniger Häuser, ist einer der letzten im Norden erreichbaren Orte. Dort erhalte ich übrigens den meiner Meinung nach weltbesten Queso assado, gegrillten Schafskäse mit grüner Sauce. Ich bestelle eine Portion statt der Tapa-Variante, unaufessbar, schmeckt super aber ist nicht zu schaffen. Anschließend muss ich mich wieder daran gewöhnen, dass man einen Kaffee hier immer noch für 80 Cent bekommt.

Auf der Plaza von Santo Domingo sitzt es sich schattig unter alten Lorbeerbäumen

Das Salz des Reisens ist ja immer das Ungeplante, Unvorhersehbare, die zufällige Begegnung, wenn man offen dafür ist und sich einlässt. In Santo Domingo gewinne ich den Eindruck, dass sich hier die Sammelstation für Althippies befindet. In der Bar ein fellgewandes Päärchen, später gesellt sich ein älterer Waldschrat unter den Lorbeerbaum auf ein Bier. Den treffe ich später wieder, als ich vom Aussichtspunkt einen Blick in die "Schlucht des Lichtes" werfe. Wie es sich fügt, kommen wir ins Gespräch. Morgen (den Spitznamen erhielt er von einem Deutschen weil er ein Morgenmensch ist) entpuppt sich als kauziger Ire Mitte 60, der seit zehn Jahren hier auf der Insel lebt und gerade seit einem Monat die Rente durch hat. Vorher lebte er überwiegend von der Trommelherstellung aus Palmholz und was sich sonst so findet, viel rumgekommen ist er außerdem. Auf Teneriffa lebte er eine Weile, ebenso auf Korsika, wo er seinerzeit wegen Tschernobyl abgehauen ist - Entfernung zu Russland gewinnen.

Ob er mich auf einen Kaffee zu sich nach Hause einladen darf? Sein Zuhause befindet sich ein paar Schluchten weiter, in der Schlucht, in einer Höhle. Zu Fuss ein ordentlicher Marsch, zumal der Rucksack prall gefüllt ist mit Einkäufen, der Zweck seines Dorfbesuchs. Da ist der Autotransport willkommen und ich bin neugierig, win-win Situation. Über eine schmale Straße verlassen wir also gemeinsam Santo Domingo, eine Schlucht runter, wieder rauf, ab in die nächste Schlucht. Irgendwann gibt es dann nur noch Schotterpiste, eng, steil, kurvenreich, ich erinnere mich an Namibia: difficult roads often lead to beautiful destinations, so stand es dort auf einem Schild geschrieben. Mitten im Nichts dann Parken am Rande der Piste. Nun geht es nur zu Fuß weiter (der ganze Weg bis hier mit Gepäck, Hut ab, der Mann ist in Form). Über unsichtbare Pfade durch Gestrüpp und Kakteen geht es weiter bergauf, bergab, über Mäuerchen und Felsen. Ich vergewissere mich der Eskorte für den Rückweg, sonst finde ich mein Auto hier so schnell nicht wieder.

Weiter unten in der Schlucht, unter einem großen Drachenbaum (!) und hinter Palmen erreichen wir dann Morgens Anwesen: eine Dreieinhalb-Höhlen Behausung mit Garten und eigener Quelle. In den zahlreichen Höhlen, die sich in jeder Schlucht befinden, lebten schon die Ureinwohner. Und ungefähr mit gleichem Standard macht Morgen dass seit zehn Jahren, Bedürfnislosigkeit die immer wieder erstaunt.

In der Schlucht, noch ist nicht viel von Höhlen zu sehen

Hier erkennt man es schon hinter den Palmen

Auf mehrere Höhlen sind Küche mit Feuerstelle und Gaskocher, Schlafzimmer, Bad mit Quellwasser und eine wetterabgewandte "Winterhöhle" mit Bett und unzähligen Büchern verteilt. Wo hat man so etwas schon, beeindruckend, wenngleich ich nicht so wohnen wollen würde. Der Garten gibt allerlei her, Avocados, Zwiebeln, Kartoffeln sowie Feigen und Datteln. Selbst eigener Tabak wächst hier und eine kleine Menge illegaler Beimischung. Dazu gekauft im Dorf wird Kaffee, Müsli und zur Feier des Tages ein paar Dosen Bier. Da er das Gelände kultiviert und nicht weiter stört, haben sich die Behörden arrangiert, leben und leben lassen.

Höhlenwohnung, im Laufe der Jahre gestaltet
Der zugesagte Kaffee wird zubereitet
Im beliebig erweiterbaren Garten

Beim Kaffee gibt es noch allerlei zu erzählen. Morgen überlegt, jetzt als Rentner, mal wieder einen Tapetenwechsel, Neuseeland vielleicht. Wo auch immer, wer wenig braucht, wird überall zufrieden. Ich freue mich über das Erlebnis, die kennen gelernte Facette des Insellebens, von der wahrscheinlich wenige ahnen. Toller Tag.

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